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      Gesellschaft zuvor produzierte mehr Bilder als die heutige Weltgesellschaft. 
      Keine Gesellschaft wollte sich so oft und massenhaft selbst im Bild inszenieren 
      wie die heutige Weltgesellschaft. Keine Gesellschaft verknüpfte ihre 
      Überleben stärker mit Bildern. Keine Gesellschaft war versessener 
      darauf, soziale Kontakte mittels Bildern aufzubauen, zu unterhalten und 
      zu erinnern. Die digitale Bildherstellung übertrifft bei weitem den 
      Bilderboom, für den die technische Reproduzierbarkeit des fotografisches 
      Bildes zu Beginn des 20 Jh. sorgte. Nach Schätzungen der Gesellschaft 
      für Konsumforschung (GFK) wurden 77 Millionen Digitalkameras weltweit 
      im Jahr 2004 verkauft. Gegenüber dem Jahr 2003 steigerte sich der Markt 
      für Digitalkameras um 54 Prozent. 100 Millionen Fotohandys lieferte 
      die Industrie 2004 weltweit aus. Jedes Kommunikationsgerät der Zukunft 
      wird die digitale Bilderstellung integriert haben. Die kommunikationsstarken 
      Individuen der Weltgesellschaft haben dann immer und überall eine Digitalkamera 
      dabei, um immer und überall Bilder an Massen von Individuen versenden 
      zu können. Wozu braucht die Gesellschaft noch Fotografen, wenn alle 
      immer überall Digitalfotos machen können? Erinnert sich eine Gesellschaft 
      an alles, wenn alles von allen fotografiert wurde? Wie können digitale 
      Bilder überhaupt der Erinnerung dienen? Diese drei Fragen werden die 
      folgenden vier Kapitel beantworten. Alle nachstehenden Überlegungen gehen davon aus, dass die Evolution 
      des digitalen Bildes einer Evolution des Sozialen folgt. Mittels digitaler 
      Bilder beginnen wir uns in Fernanwesenheit zu vergesellschaften. Das digitale 
      Bild präformiert zunehmend die sozialen Wechselwirkungen der Netzwerkgesellschaft. 
      Freunschaft, Ehe, Liebe, Vertrauen, Macht, Partnerfindung, Kinderbetreuung, 
      Geschäftsbeziehungen, Altenpflege, Öffentliche Sicherheit, Identität, 
      Shopping, Unterhaltung, Gaming und selbstverständlich informationelle 
      Weltorientierung etc. gewährleisten mehr und mehr digitale Bilder. 
      Kommunikation, Communities und soziale Orientierung sind in der Aufmerksamkeitsökonomie 
      unserer Netzwerkgesellschaft ohne das digitale Bild kaum möglich. So 
      fungiert das digitale Bild als sozial anknüpfbare Benutzungsoberfläche, 
      d.h. als Interface, der modernen Vergesellschaftungstechnologien.
 
 
 
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