Zusammenfassung/Summary:
Die folgende Betrachtung untersucht die Frage, wie der Beziehungsaspekt
der Kommunikation in der Syntaktik der Bildgestaltung zum tragen kommt.
Den Ausgangspunkt bietet die Peircesche und Morrissche Semiotik, mit der
zwischen Syntaktik, Semantik und Pragmatik unterschieden werden kann.
Das Ergebnis der Untersuchung zeigt auf, daß Bilder in der syntaktischen
Dimension einer Konvention folgen, deren Regelhaftigkeit das Medium für
einen kulturellen Beziehungsaspekt bietet.
The following article examines the question how relational aspects in
visual communication are linked with the syntactical structure of pictures.
The semiotic of Peirce and Morris, particularly the distinction between
a syntactic, semantic and pragmatic dimension, serves as a starting-point.
The result of the investigation points out that the syntactic dimension
of pictures is shaped by a cultural convention which regularity grounds
the cultural relationship in visual communication. Furthermore such a
regularity explains a cultural style that carries a message of an actualized
communication.
Andreas Schelske
Wie wirkt die Syntaktik von bildhaften Zeichen kommunikativ?
1.1 Zeichen in triadischer Relation
Zeitgenössische Theorien, die die Sprach- und Bildkompetenz von Individuen
thematisieren, untersuchen vielfach die Verwendung von Symbolen, die Einhaltung
von Regeln (Konventionen) und die kommunikative Funktion einer Ähnlichkeit,
mit der etwas anderes bezeichnet werden kann. In manchen dieser Theorien,
die oft in linguistischen Fundamenten verwurzelt sind, hält sich
die Annahme, daß Bilder eine Sprache wären, gleichwohl für
sie weder eine Grammatik noch die Möglichkeit einer lexikalischen
Systematisierung entworfen werden könnte. Zudem beantworteten linguistisch
beeinflußte Theorien die Frage unzureichend, wie sich mittels bildhafter
Zeichen visuell kommunizieren läßt. Deshalb möchte ich
im folgenden mittels eines semiotischen Standpunktes darlegen, wie bzw.
wodurch bildhafte Zeichen einer syntaktischen Regel (Konvention) folgen
können, die zwar nicht als Sprache einzuordnen ist, die aber sehr
wohl ein geordnetes Verzeichnis kultureller und subkultureller Bildstile
ermöglicht.
Den Ausgangspunkt der Überlegungen werden die zeichentheoretischen
Theorien von Charles Sanders Peirce (1931/2.240-2.250ff.) und auch von
Charles William Morris (1988/90ff.) festigen, der die drei Dimensionen
benannte, mit denen sich Zeichen in ihrer Syntaktik, Semantik und Pragmatik
unterscheiden lassen. Diese Unterscheidung bietet sich an, weil sie einerseits
linguistische Bestimmungen an Differenziertheit überbietet und sie
sich andererseits zwar komplementär zu den Peirceschen Kategorien
verhält, jedoch mit diesen nicht inkompatibel ist, zumal zu vermuten
ist, daß Morris die Peirceschen Kategorien auf seine Weise reformulierte.
Die Definitionen, mit denen jene beiden Semiotiker ein Zeichen beschreiben,
unterscheiden sich zwar ein wenig, dennoch sprechen beide von einem Zeichen
bei folgenden Eigenschaften: Ein Erstes, das als materieller Zeichenträger
vorliegt, muß derart in einer Relation zu einem Zweiten, d.h. seinem
Objekt bzw. Designat, stehen, so daß diese Beziehung in der Lage
ist, ein Individuum dazu zu bewegen, sich zu verhalten, zu handeln oder
zu denken, damit es innerhalb dieser Handlungsweisen ein Drittes, den
Interpretanten des Zeichenträgers erzeugt. Morris und Peirce gliedern
somit das Zeichen in drei Aspekte: Erstens das Zeichenmittel, so wie es
in seinem Material und seiner Form vorliegt; zweitens das Zeichen in seiner
Relation zu seinem zeicheninternen, unmittelbaren Objekt bzw. Designat;
und drittens der Interpretant, den ein Individuum konstituiert, indem
es die Beziehung von Zeichenmittel und bezeichnetem, unmittelbarem Objekt
in Beziehung setzt und als Bedeutung aktualisiert. Erst wenn diese triadische
Relation erfüllt ist, ist ein Zeichen als solches vollständig
und kommunikativ wirksam. Denn ein Interpret ist bei der Wahrnehmung eines
Zeichens darauf angewiesen, das Zeichenmittel mittels seiner Wahrnehmung
als eine optische Gestalt visuell so zu konstruieren, daß ihm diese
optische Formation als eine Bezeichnung von etwas vorkommt, die er in
seiner Bedeutung interpretiert, sobald er das Zeichen verstehen möchte.
Zur besseren Vorstellbarkeit der triadischen Relation, wie sie für
ein Bild besteht, möchte ich diese anhand der visuellen Konstruktion
eines kommunikativ wirksamen, bildhaften Zeichens aufzeigen. Um ein Bild
als Bild zu verstehen, führt ein Betrachter zwei Interpretationsprozesse
durch: Zum einen interpretiert er den wahrgenommenen Gegenstand als ein
Zeichen seiner Funktion, d.h. als ein Gegenstand der bildhaften Kommunikation,
und zum anderen interpretiert er das, was er in dem Bild an Bezeichnetem
visuell erkennt.
Der erste, oft wenig bedachte Schritt einer Semiose erklärt sich
folgendermaßen: Um ein Bild zunächst als solches zu erkennen,
ist es unumgänglich, daß es selbst als ein Zeichen seiner Funktion
erkannt wird, d.h. der Betrachter muß z. B. die quadratische Form
des Bildes als ein Zeichen erkennen, welches ihm indiziert oder symbolisiert,
daß es sich bei dem Zeichen um eines handelt, das in seiner Funktion
als "visuelle Kommunikation mittels Bildern" zu verstehen ist.
Ist der Betrachter nicht in der Lage, die Funktion eines Bildzeichens
als Zeichen zu erkennen, mißversteht er den demonstrativen Appell,
mit dem das Bildzeichen seine Funktion als visuelle Kommunikation innerhalb
einer kulturellen Kontextes zu bezeichnen sucht. Das bildhafte Zeichen
würde in einer solchen Situation seinen kommunikativen Anschluß
an etwaige Kommunikationspartner verpassen, sobald diese außerstande
sind, die materielle Struktur des Gesehenen als ein Bild zu dekodieren
und zu verstehen. Der hier aufgezeigte, erste Schritt der Interpretation
verdeutlicht demnach, wie ein Bild als ein Zeichen semiotisiert wird,
dessen Objektbezug die Funktion der visuellen Kommunikation bezeichnet,
damit diese als eine solche Bedeutung erlangt. Die triadische Relation
ist somit erfüllt.
Der zweite Schritt einer Semiose ist im allgemeinen geläufiger.
Mit ihm läßt sich darstellen, wie ein Betrachter in dem Bild
etwas Bezeichnetes sieht, was ihn zu einer interpretierenden Handlung
veranlaßt. Die triadische Relation ist auch hier wieder der Ausgangspunkt.
Sie ist dadurch erfüllt, daß ein mit seiner Bildkultur vertrauter
Betrachter alltäglicherweise in den Formen und Farben, d.h. in den
Zeichenmitteln eines Bildes, meist etwas sieht, das von dem Bild per augenscheinlicher
Ähnlichkeit bezeichnet wird. Das mittels zweier Dimensionen bildhaft
Bezeichnete ist jedoch nicht der Gegenstand selbst, so wie er in der dreidimensionalen
Welt erfahren wurde, sondern das Bezeichnete ist das von Peirce sogenannte
"unmittelbare Objekt" des Zeichens. Mit diesem unmittelbaren
Objekt ist zum Ausdruck gebracht, daß "... es das Objekt ist,
wie das Zeichen es repräsentiert, dessen Sein also von seiner Repräsentation
im Zeichen abhängt." (Oehler 1993/129) Insofern ein Betrachter
das unmittelbare Objekt des (Bild?)Zeichens dekodiert, interpretiert er
zunächst nicht den dreidimensionalen Gegenstand, sondern dessen Bezeichnung,
die hinsichtlich seiner potentiellen Erfahrbarkeit Orientierung leisten
soll sowie kann.
Zu dem soeben beschriebenen zweiten Schritt einer Semiose gehört
auch das anhaltend diskutierte Problem der Bezeichnung per Ähnlichkeit.
Damit etwas bildhaft bezeichnet wird, benötigt die optische Struktur
des materiellen Bildes nämlich keine Ähnlichkeit, die zwischen
der Bildstruktur und einem Gegenstand bestehen müßte, den wir
aus der uns vertrauten dreidimensionalen Welt her kennen. Die Bezeichnung
per bildlicher Ähnlichkeit ist bereits möglich, sobald Mitgliedern
der figurale Aufbau ihrer Bildkultur derart vertraut wird, daß sie
während der Betrachtung des Zeichenmittels ein per Ähnlichkeit
bezeichnetes, unmittelbares Objekt, d.h. ein ikonisches Objekt, erkennen
und dieses in seiner kommunikativen Bedeutung interpretieren. Ob das Denotat
des ikonisch bezeichneten Gegenstands tatsächlich existiert, ist
für die kommunikative Bedeutung des Zeichens keineswegs notwendig.
1.2 Syntaktik, Semantik und Pragmatik
Die Eingangs aufgezeigte triadische Relation, mit der das Zeichen in seinen
drei Bezügen als Zeichenmittel, Objektbezug und Interpretant dargestellt
wurde, nahm gewissermaßen die drei Dimensionen vorweg, mit denen
Morris ein Zeichen nach seiner Syntaktik, Semantik und Pragmatik unterscheidet.
Denn die Syntaktik beschreibt, wie Zeichenmittel zueinander in Beziehung
stehen und ihren Sinn in Form und Struktur zugestanden bekommen. Als die
semantische Dimension eines Zeichens erfaßt Morris indessen, wie
sich das Zeichenmittel auf ein Objekt bezieht, d.h., ob es einen ikonischen,
indexikalischen oder symbolischen Objektbezug beinhaltet, um etwas zu
bezeichnen. Die Bedeutung eines Zeichens kommt erst hinzu, sobald sich
ein Interpret aufgrund der Verbindung der syntaktischen mit der semantischen
Dimension in die Lage versetzt, daß er während seines Handelns
die pragmatische Dimension des Zeichens als dessen Bedeutung interpretieren
kann. Die Pragmatik kategorisiert hier, die "Beziehung der Zeichenträger
zu den Interpreten" (Morris 1988/93), die die Bedeutungen des Zeichens
im Handeln bzw. kommunikativen Handeln aktualisieren. Um die kommunikative
Wirksamkeit eines (Bild-)Zeichens aufzuzeigen, müssen daher alle
drei Dimensionen aufeinander bezogen werden, da ein Zeichen nicht allein
aus einer der aufgezeigten Dimensionen seine Bedeutung erhalten kann.
2. Der kommunikative Beziehungsaspekt der Syntaktik
Die zwei Schritte einer Semiose verdeutlichen, daß die von Personen
verwendete Syntaktik zweifaches leisten kann: Sie kann einerseits an jeden
Kommunikationsteilnehmer demonstrativ appellieren, daß es sich bei
den Formen um Zeichen einer menschlichen Kultur handelt, und sie kann
innerhalb dieser Formen ein Zeichen für etwas, d.h. einen Objektbezug
aufzeigen, von dem gesprochen wird oder von dem sich der Betrachter ein
"Bild" bzw. eine visualisierte Vorstellung macht. Gregory Bateson
beschreibt diese Leistung der menschlichen Kommunikation folgendermaßen:
"Außergewöhnlich - das großartig, neue - in der
Evolution der menschlichen Sprache war nicht die Entdeckung der Abstraktion
oder der Verallgemeinerung, sondern die Entdeckung, wie es möglich
ist, sich über etwas anderes als Beziehungen genau auszudrücken."
(Bateson 1981/472) Implizit unterscheidet Bateson hier die beiden Kommunikationsaspekte,
die Watzlawick (vgl. 1969/53) ein paar Jahre vor ihm einerseits als den
Beziehungsaspekt und anderseits als den Inhaltsaspekt der Kommunikation
begriff.
Beispielsweise zeigt ein Foto, das Peirce darstellt, im Inhaltsaspekt
einen bärtigen Mann, den das Foto per ikonischer Bezeichnung veranschaulicht.
Um zu wissen, daß das Foto Peirce per anschaulicher Ähnlichkeit
bezeichnet, muß man ihn allerdings persönlich kennengelernt
oder irgendeine Sprache erlernt haben, die seinen Namen kennt bzw. einen
symbolischen Objektbezug für ihn hat. Der Inhaltsaspekt der Kommunikation,
der den semantischen Objektbezug und den pragmatischen Interpretantenbezug
(die Bedeutung) des Zeichens umfaßt, bezieht sich immer auf "etwas"
anderes, auf das »was« einer Kommunikation. Aus diesem Grund
möchte ich den Inhaltsaspekt weitgehend außer acht lassen.
Der Beziehungsaspekt der Kommunikation fokussiert, daß Farben
und Formen eine Regel(-haftigkeit oder "Ordnung") beinhalten
können, deren Wirkung Personen dazu veranlaßt, zueinander kommunikativ
in Beziehung zu treten. Im Allgemeinen beobachten wir eine solche Regel
als kulturellen Stil oder auch subkulturell nuancierte Form, die beide
als organisierte (Bild-)Syntaktiken verwendet werden. So ist ein Bild
in seiner syntaktischen Form beispielsweise zentralperspektivisch gemalt,
um im Beziehungsaspekt die Mitteilung "naturgetreue Darstellung"
zu symbolisieren. Es könnte aber ebenso im syntaktischen Stil des
Pointillismus dargestellt sein, womit es seine Zugehörigkeit zur
spätimpressionistischen Kunst(-Gruppierung) mitteilen würde.
Selbst der quadratische, dicke Holzrahmen eines Bildes ist in unserem
Kulturkreis als ein syntagmatisches Zeichen zu erkennen, das den Beziehungsaspekt
"europäische Kultur" anzeigt.
Alle drei syntaktischen Weisen der Bilderzeugung folgen formalen Regeln
. Solche Regeln geben zum einen an, mit Hilfe welcher kulturellen Perspektive
etwas bildlich dargestellt werden kann, und zum anderen weisen sie darauf
hin, in welcher Funktion die Darstellung einer visuell kommunikativen
Bezeichnung beobachtet werden soll. Zweifellos kann die visuell kommunikative
Bezeichnung, die bildlich dargestellt wurde, auch Erdachtes oder Fantasiertes
veranschaulichen. Jedoch ist dasjenige, »was« dargestellt
ist - in der hier theoretisch isolierten Betrachtung - für den Beziehungsaspekt
weitgehend bedeutungslos. Denn dessen Funktion besteht darin, mittels
der Gliederungsstruktur seiner Darstellungsformen, also mittels seiner
Syntaktik, einen demonstrativ wirkenden Index zu präsentieren, der
dem deutenden Bildbetrachter anzeigt, »wie« er ein Bild in
seiner bildtypischen Funktion auf eine Weise versteht, die der Bildproduzent
intendierte. Mit diesem Anzeigen einer Mitteilungsabsicht beginnt jede
(visuelle) Kommunikation, obgleich indexikalisches Anzeigen auch außerhalb
der Kommunikation, aber nicht außerhalb der Zeichen zu verwirklichen
ist.
Die syntaktische Gliederung, »wie« Darstellungsformen in
Bilder geordnet sind, entscheidet darüber, ob sich ein Bildner trotzt
räumlicher Abwesenheit in die Lage versetzt hat, jemand anderem zu
verstehen zu geben, daß ein Bild beispielsweise zu irgendeiner menschlichen
oder zur gemeinsam geteilten Kultur gehört, eine Karikatur sein möchte,
oder mittels der Zentralperspektive eine vorstellbare Realität darstellen
soll. Einen visuell kommunikativen Appell üben ebenfalls Darstellungsformen
aus, die spezifische Figur/Grundbeziehungen, charakteristische Oberflächenbearbeitungen,
syntaktische Formationsregeln, Raumcodierungen oder spezifische Perspektiven
nutzen. Allen demonstrativ wirkenden Darstellungsformen ist jedoch gemeinsam,
daß sie sowohl eine allgemeinen kulturellen Typus folgen als auch
in ihren formalen Strukturen als unnatürliche bzw. unwahrscheinliche
Formationen wiedererkennbar sind. Daher übernehmen nicht alle, sondern
meist konventionelle, syntaktische Strukturen der Bilder (Legizeichen)
die kommunikative Funktion, darauf hinzuweisen, daß einige, optisch
zu erkennende Gegenstände bildhafte Zeichen einer gemeinsam geteilten
kulturellen Sphäre und Beziehung sein sollen.
Wie läßt sich die Behauptung untermauern, Bilder würden
in einigen Merkmalen eine Kontinuität aufweisen, die sich derart
wiederholt, daß Bildner erwarten können, mit welcher Erwartung
die Betrachter ein Bild sehen werden? Welche kulturellen Bildstrukturen
stabilisieren also die Erwartungserwartung, daß ein Bild als Bild
verstanden wird?
2.1 Syntaktische Konventionen in Bildern
Unter Konventionen versteht die Soziologie allgemeine Verhaltensregelmäßigkeiten,
die Personen oftmals stillschweigend einhalten und wechselseitig voneinander
erwarten. Im Bereich der Kommunikation beziehen sich solche Regelmäßigkeiten
auf Codes, die in Kommunikationssituationen invariant gehalten werden
und ein Medium für die eigentliche Nachricht bieten. Denn die Mitteilung,
man würde sich in dem gleichen „kulturellen Stil” ausdrücken,
bietet den konsensuellen Bereich, damit jemandem zu verstehen gegeben
werden kann, wie ein Bild von einem Pferd gemeint ist. Soll daher das
Ergebnis einer visuell kommunikativen Handlung, also ein Bild, so strukturiert
sein, daß eine andere Person es mit einer großen Wahrscheinlichkeit
wie gemeint verstehen wird, muß zwischen beiden Kommunikationspartnern
eine in Graden geteilte Konvention vorhanden sein. Eine solche, meist
unabgesprochene Übereinkunft übernimmt die Aufgabe, ein spezifisches
Verhalten bzw. Verstehen von Kommunikationspartnern erwarten zu können,
indem diese sich an die semiotische Funktion und Bedeutung erinnern.
Beispielsweise berichteten Ethnologen, daß Mitglieder afrikanischer
Stämme, in denen Bilder niemals gezeigt wurden und nicht zum kulturellen
Ausdrucksrepertoire gehören, die Vorführung eines Kinofilms
innerhalb ihres Kultes als die Darstellung verstorbener Vorfahren interpretierten
oder mittels Polaroidfotos dargestellte Alltagsgegenstände nicht
erkannten (vgl. Behrend 1990/565f.). Solche vom Bildner nicht intendierten
Interpretationen haben sicherlich unterschiedliche Ursachen, eine davon
ist jedoch, daß es den hier beispielsweise erwähnten Betrachtern
unbekannt war, welche spezifische Kommunikationsfunktion durch den syntaktischen
Code des Bildes indiziert sein sollte. Die mit der Bildkultur unvertrauten
Betrachter konnten nämlich nicht ad hoc decodieren, daß es
sich bei Bildern um eine Form der visuellen Kommunikation handelt, mit
der ein - in unserem Sinne - tatsächliches Geschehen der Vergangenheit
bildhaft dargestellt wurde.
Nuancierter als in diesem Beispiel eines vollständigen Mißverständnisses
tritt der Beziehungsaspekt zwischen bildvertrauten Kulturen auf, indem
fein differenzierte, "subkulturelle" Stile in der Malerei es
kommunikativ unterstützen, daß sich zwischen Gesellschaften
sowie sozialen Gruppen Ablehnung, Zuneigung oder eine territorial gebundene
Identitätsbildung stabilisieren. Hier wäre z.B. der Stil des
damaligen sozialistischen Realismus zu nennen, der in der ehemaligen Sowjetunion
von offizieller Seite begründet wurde und das politische Programm
der Solidarität symbolisch in Erinnerung rufen sollte. Oft passiert
es auch, daß der Stil der Bilder im Beziehungsaspekt etwas kommuniziert,
was kaum wie ursprünglich gemeint interpretiert wird, weil es einer
anderen Epoche oder auch nur einem anderen Jahrzehnt entstammt. Beispielsweise
verlieren die Graffiti-Bilder der achtziger Jahre heutzutage ihren ursprünglichen
Beziehungsaspekt, indem ihr syntaktischer Aufbau der Formen selten noch
den Protest und das Wohngebiet der jugendlichen Sprayer markiert, sondern
in Werbung sowie Kunst allenfalls Jugendlichkeit ausdrückt.
Die genannten kulturellen Stile der syntaktischen Gestaltung sind keinesfalls
mit der Grammatik einer Sprache gleichzusetzen, wenngleich sie auch einer
syntaktischen Regel folgen, die sie mit anderen Bildern ihrer Zeit gemeinsam
haben. Insofern ist es unmöglich, ein Lexikon der Bildbedeutungen
zu erstellen, indessen ist ein Lexikon der syntaktischen Stile in der
Bildnerei durchaus denkbar. Diesem Stilverzeichnis wären sogar die
syntaktischen Regeln zu entnehmen, wie ein Bild zu erstellen ist, damit
es syntaktisch korrekt der jeweiligen (Sub-)Kultur entspricht. Daher behauptet
Nelson Goodman aus triftigem Grund: „Was pikturale Symbole auszeichnet,
beruht nicht auf Ähnlichkeit oder irgendeiner anderen Beziehung zu
etwas, worauf sie Bezug nehmen können, sondern auf ihren syntaktischen
Beziehungen zueinander.” (Goodman 1989/175; vgl. Schelske 1997/152)
Denn Bilder folgen innerhalb ihrer Kultur einer Regel, die es ihnen ermöglicht,
vor dem Hintergrund einer konventionalisierten Syntax einen individuell
ausgewählten Objektbezug darzustellen.
Aufgrund dieser Beliebigkeit der Zeichenkombinationen innerhalb eines
quasi rahmenden Codes, der die Regelbefolgung mittels einer Erwartungserwartung
stabilisiert, unterscheidet sich die visuelle von der verbalen Kommunikation.
Denn von verbalen Sprachen ist bekannt, daß ihnen eine Grammatik
und Syntax zugrunde liegt, die ausschließlich bestimmte Zeichenkombinationen
erlaubt, sofern die Teilnehmer erwarten, vollständige Regelbefolgung
und Fehlerfreiheit wäre für Kommunikation notwendig. Bilder
der visuellen Kommunikation benötigen syntaktische Codierungen lediglich,
um für Betrachter im kommunikativen Beziehungsaspekt adäquat
demonstrativ zu wirken, ansonsten wirken Bilder durch Regelverletzung
interessant, indem sie eine subjektiv allgemeine Beziehung zum Objekt
aufnehmen und diese individuelle Thematisierung auf kollektiver Verständigungsebene
anbieten. Der bereits erwähnte Stil des sozialistischen Realismus
eignet sich nämlich durchaus dafür, alles bildhaft zu bezeichnen,
was dem Bildner zusagt. Trotzdem bliebe der kultureigene Stil und dessen
symbolische Nachricht erhalten, was dem sozialistischen Realismus heutzutage
das Desinteresse seiner Betrachter einhandelt.
Der quasi rahmende Charakter der Syntaktik legt nicht die Bedeutung
eines Bildes oder eines ikonischen Objektbezugs fest, sondern es läßt
sich allenfalls die syntaktische Struktur einzelner Bilder verallgemeinern.
Wobei diese Ordnung jeden Systematisierungsversuch vereitelt, die Verallgemeinerungen
der unterschiedlichen Bildsyntaktiken derart zu differenzieren, daß
sie sich in scharf voneinander getrennte Klassen der Bildstile unterscheiden
ließen (vgl. Goodman 1989/148). Nach kulturellen Stilen lassen sich
Bilder allenfalls lose zuordnen, da eine interpersonal eindeutige Ordnung
keineswegs zu erreichen ist. Dementsprechend variiert auch die Bedeutung
eines Stils in ihrem Verallgemeinerungsgrad damit, ob sie aus einem indexikalischen
Hinweis oder symbolisch definierten Objektbezug herrührt. Sobald
Bildstile sich jedoch z.B. einem eindeutigen Herrschaftssymbol zuordnen
lassen, ist der Bedeutungspielraum recht gering. Denn innerhalb einer
Kommunikationsstruktur sind Symbole vielfach stärker konventionalisiert
als indexikalische Gesten oder Hinweise auf eine subkulturelle Gruppe.
Eine Ähnlichkeit, die zwischen Zeichenmitteln wiedererkannt wird
und die infolge dieses Wiedererkennens als kulturspezifisches Merkmal
bildhafter Zeichenmittel betrachtet wird, kann die syntaktische Dimension
von Bildern in einzelnen Zuschreibungen einer demonstrativ wirkenden Regel
stabilisieren. Könnte sich die Verwendungsweise eines Zeichenmittels
nicht wiederholen, wäre die Unwahrscheinlichkeit von kommunikativen
Formen selten von komplett zufälligen, wahrscheinlichen bzw. natürlichen
Formen zu unterscheiden: Visuelle Bildkommunikation zwischen Personen
wäre dann ein zufälliges Ereignis. Die syntaktischen Konventionen
übernehmen somit auch eine erinnernde Aufgabe, um ein spezifisches
Verhalten von Kommunikationpartnern erwarten zu können. Denn der
Beziehungsaspekt in der visuellen Bildkommunikation erinnert an die kulturellen
Gemeinsamkeiten, die eine Gesellschaft sich aufgebaut hat, um ikonische
Inhalte an einen Kommunikationspartner adressieren zu können.
Ein kunsterfahrener Europäer erkennt beispielsweise oft ohne Mühe,
ob ein künstlerisches Bild im Stil der sechziger, siebziger oder
achtziger Jahre an sein Publikum gerichtet ist oder war. Auf gleiche Weise
adressiert die gegenwärtige Technokultur ihre Flyer mit kleinen Bildchen
an das entsprechende Publikum, das schon am syntaktischen Stil erkennt,
daß es höchstwahrscheinlich angesprochen werden soll. Denn
auch die heutigen Produzenten der Bilder wissen, daß die Adressierung
im Beziehungsaspekt der visuellen Kommunikation am besten dann gelingt,
wenn folgender Satz zutrifft:„Communication with another person
is only possible if there is some degree of common memory.” (Lotman.
1990/63)
2.2 Semiosphäre
Mit der Adressierung im Beziehungsaspekt der visuellen Kommunikation versteht
der Betrachter innerhalb seiner kulturellen Sphäre eine Eigenkommunikation,
ohne daß er das inhaltliche »Was« im Bild schon verstanden
zu haben braucht. Ich möchte diese Sphäre mit Lotman als "Semiosphäre"
(Lotman 1990/18) markieren, obgleich ein Zeichenrepertoire kultureller
Stile und Ausdrucksmöglichkeiten ebenfalls wie die naturwissenschaftlichen
Versuche mit der Biosphäre I und II auf die menschliche Pflege angewiesen
bleiben.
Der Terminus Semiosphäre deutet auf das Charakteristikum hin, daß
die syntaktisch geordnete Bildkultur eine eigene Weise der Darstellung
ermöglicht, deren bildhafte Weltkonstruktion zwischen den Kommunikationspartnern
autopoietisch erzeugt und wechselseitig - notwendigerweise mittels indexikalischen
und symbolischen Objektbezügen - bestätigt wird. Die Semiosphäre
charakterisiert deshalb im Sinn Lotmans einen "semiotischen Raum,
außerhalb dessen die Existenz von Semiosen unmöglich ist"
(Lotman 1990a/290).
Die Gesamtheit des semiotischen Raumes impliziert, daß jedes Zeichenrepertoire
mit jeweils anderen verwoben ist. Dies läßt sich für Bilder
leicht begründen. Denn die Bildfunktion kann nicht als solche konzeptualisiert
werden, wenn es dem Betrachter mittels symbolischer Begriffe nicht möglich
ist, semiotisch zu abstrahieren, was ein Bild ist und wie dessen kommunikative
Aufgabe nachzuvollziehen sein soll. In seltenen Ausnahmefällen übernehmen
zwar zunächst indexikalische Objektbezüge eine hinweisende Funktion,
die z.B. in Ritualen eine Verhaltensorientierung gegenüber Bildern
bietet, jedoch sind Symbole dann daran beteiligt, aufzuzeigen, was für
ein Ritual abgehalten wird. Aus diesem Grund sind die syntaktischen Strukturen
der Bilder wie auch ihr Beziehungsaspekt auf sprachliche Symbole angewiesen.
Mit anderen Worten: Ohne die Existenz irgendeiner Sprache ist die Existenz
einer wechselseitigen Kommunikation mittels Bildern unmöglich. Denn
der Beziehungsaspekt gliedert sich zwar mittels der Syntaktik in die Semiosphäre
der Kultur ein, dennoch regelt die Syntaktik allein nicht die Bedeutung.
Für die Bedeutung der Bilder bedarf es notwendigerweise einer Pragmatik,
die das kommunikative Handeln der Betrachter einbezieht.
Literatur:
Bateson, Gregory: Ökologie des Geistes, Anthropologische, psychologische,
biologisch und epistemologische Perspektiven, Frankfurt a.M.: Suhrkamp
1981
Behrend, Heike: Rückkehr der gestohlenen Bilder, Ein Versuch über
"wilde" Filmtheorien, In: Anthropos, Internationale Zeitschrift
für Völker- und Sprachenkunde, Nr.85, Sankt Augustin/Fribourg,
1990, S.564-570
Goodman, Nelson; Elgin, Catherine Z.: Revisionen: Philosophie und andere
Künste und Wissenschaften, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1989
Lotman, Yuri M.: Universe of the Mind, A Semiotic Theorie of Culture,
London, New York: I.B. Tauris & CO. LTD, 1990
Lotman, Juri M.:Über die Semiosphäre, In: Zeitschrift für
Semiotik, Band 12, Heft 4, S. 287-305, Tübingen: Stauffenburg Verlag,
1990a
Morris, Charles William: Grundlagen der Zeichentheorie/Ästhetik der
Zeichentheorie, Frankfurt a.M.: Fischer 1988
Oehler, Klaus Charles Sanders Peirce, München: Beck 1993
Peirce, Charles Sanders: Collected Papers of Charles Sanders Peirce, Vol.
1-6, Ed. Charles Hartshorne u. Paul Weis., Cambridge (Mass.): Harvard
University Press 1931-1935
Schelske, Andreas: Die kulturelle Bedeutung von Bildern, Soziologische
und semiotische Überlegungen zur visuellen Kommunikation, Wiesbaden:
Deutscher Universitäts-Verlag 1997
Watzlawik, Paul; Beavin, Janeth H.; Jackson, Don D.: Menschliche Kommunikation,
Formen, Störungen, Paradoxien,Verlag Hans Huber: Bern Stuttgart 1969