Auszug aus dem Text:
Synchrone Konsumforschung im Überallmarkt
Semantische Rückkanäle im computerunterstützten Konsum

In: Zwischen Methodenpluralismus und Datenhandel -
Zur Soziologie der kommerziellen Konsumforschung
(2008) Aus der Reihe: Konsumsoziologie und Massenkultur
Hrsg.: Schrage, Dominik / Friederici, Markus R.
VS-Verlag, Wiesbaden- AG Konsumsoziologie
http://www.konsum-soziologie.de/ksm.htm

www.SoziologischeBeratung.de

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Kapitel 7 und 8 (Auszug aus dem Aufsatz)

7. Was motiviert Konsumenten zur Mitarbeit?

In der kooperativen Wertschöpfung geben Konsumenten den Unternehmen neben personenbezogenen Daten ebenfalls Ideen und andere kreative Leistungen zur weiteren, kostenlosen Verwendung frei. Diese interaktive Wertschöpfung interpretieren die Wirtschaftswissenschaften als ein „Free Revealing“ („Freizügigkeit“), bei dem Akteure ihre Information freizügig zur Verfügung stellen, ohne zunächst eigenen Nutzen daraus zu ziehen (Harhoff/Henkel/Hippel 2003). Ein wenig überrascht sind Ökonomen vom Prinzip des „Free Revealing“, weil Unternehmen ihr eigenes innovatives Wissen sowie ihre kreativen Informationen mit Patenten und Urherberrechten weitgehend schützen, indessen Konsumenten sich vollständig freizügig verhalten und vieles „verschenken“. Konsumenten scheint etwas anderes als monetäres Gewinnstreben zu motivieren, wenn sie mit Unternehmen kooperieren und wenig eigennützig neue Produkte innerhalb unternehmerischer Prozesse kreieren. Gegenwärtig ist kaum abzusehen, in welchen Zeiträumen das Prinzip des „Free Revealing“ damit Erfolg haben wird, „dass viele Kunden bzw. Nutzer ihr Wissen unter bewusstem Verzicht auf Gegenleistung sowie Eigentums- und Verfügungsrechte an andere Akteure, insbesondere den Hersteller, weitergeben" (Reichwald/Piller 2006: 72). Offenbar begnügen sich aktive Konsumenten zumindest zeitweise mit dem Spaß an kooperativer Wertschöpfung und sozialem Austausch. Doch Wirtschaftswissenschaftler beantworten nicht die soziologisch interessante Frage, was Konsumenten motiviert, scheinbar ohne Gegenleistung kreative Arbeit zu leisten, die sie den Unternehmen unentgeltlich und unter Verzicht auf Urheberrechte zur Verfügung stellen.


Die gesellschaftsanalytische Position ist selbstverständlich nicht das Geschäft der Wirtschaftswissenschaften. Insofern mag es zutreffend sein, dass die Arbeitskraft eines Menschen sowie der Informationsproduktionsprozess mittels kooperativer Wertschöpfung für alle beteiligten Akteure effektiver gesteuert werden. Doch die marktadäquate Rationalität der Konsumenten ist in dem Maße erstaunlich, wie die Konsumenten hohe Werte erarbeiten, aber bisher kaum an den extrem hohen Gewinnen der Unternehmen beteiligt sind. (vgl. Reichwald/Piller 2006: 60). Das Prinzip des „Free Revealing“ drängt auf die soziologische Frage, welche Konsumwünsche sich Konsumenten in kooperativer Produktion erfüllen, wenn sie personenbezogene Daten mitteilen, in eigener Arbeit kreative Informationen herstellen und später dafür bereitwillig einen Kaufpreis entrichten. Diese Frage ist von besonderer Relevanz, weil Konsumenten an der informationellen Markttransparenz freizügig mitarbeiten. Sie unterstützen die Markttransparenz zum einen mit ihren personenbezogenen Daten, sobald sie an Kundenkartenprogrammen, Rabattaktionen, Gewinnspielen und Preisausschreiben partizipieren. Und zum anderen ermöglicht ihre kooperative Wertschöpfung ein detailliertes User Tracking, das ebenfalls die unternehmensinterne Konsumforschung mittels personenbezogener Daten befördert. Konsumenten stellen gegenwärtig in hauptsächlich computerunterstützten Wirtschaftsbereichen sowohl ihre Ideen als auch ihre personenbezogenen Daten einem Unternehmen freiwillig und kostenfrei zur Verfügung, ohne dass ihnen Urheberrechte und Persönlichkeitsrechte bedeutungsvoll scheinen.


Eine Antwort darauf, was Konsumenten motiviert, an kooperativen Wertschöpfungsprozessen mitzuarbeiten, bietet Scitovsky. Mitte der 1970er Jahre kritisierte Scitovsky die wirtschaftswissenschaftliche Annahme, dass Konsumenten in ihren Konsumentscheidungen vollständig souverän wären. Er konstatiert:

„Ein Grund, warum sich die Wirtschaftswissenschaftler weigerten, die Konsummotivationen näher zu erforschen, war ihr Glaube, dass jeder Konsument sein eigener Herr ist, der seinem persönlichen Geschmack und seinen individuellen Neigungen nachgehen kann, und dass die Wirtschaft überdies im Bereich der Güter die verschiedenen Geschmäcker alle gleichzeitig erfüllen kann“ (Scitovsky 1977: 15).

Diese Möglichkeiten der freien Wahl eines Massenprodukts wollte Scitovsky nicht als Konsumentensouveränität bezeichnen. Für ihn bot die Massenproduktion allenfalls die freie Wahl zwischen Serienprodukten in Tausender-Auflagen. Als Konsumentensouveränität wollte er ausschließlich folgende Freiheit gelten lassen: „Der Konsument ist nur dann souverän, wenn seine Wahl die Art und Menge der produzierten Güter und Dienstleistungen beeinflusst“ (Scitovsky 1977: 15). An Scitovskys Begriff der „freien Wahl“ gemessen, hat die Konsumentensouveränität infolge kooperativer Wertschöpfungsprozesse zugenommen. Beispielsweise stellen Konsumenten bei www.Spreadshirt.com und www.Threadless.com in den Freiheitsgraden der jeweiligen Produktionsbedingungen ihr individualisiertes und maßgefertigtes Produkt her. Art und Menge der produzierten Güter können Konsumenten ebenfalls in einem weiten Rahmen bestimmen. Zweifellos leiht sich hier der Begriff der „Konsumentensouveränität“ lediglich einen kleinen Bedeutungsumfang von dem mächtigen Begriff der Souveränität, der Eigenständigkeit und Autonomie beinhaltet. Konsumentensouveränität meint nicht Freiheit und Autonomie, sondern zielt auf den wachsenden Einfluss, den Konsumenten auf Produktionsprozesse ausüben.


Von einer „freien Wahl“ der Konsumentensouveränität zu sprechen, wäre auch dann unzutreffend, wenn der Konsument sich damit über seine Gewohnheiten, sein Unbewusstes sowie seine nicht reflektierten Erwartungen hinweg setzen könnte. Seine Konsumentensouveränität schöpft lediglich mehr oder weniger bewusst den Handlungsrahmen aus, den spezifische sozio-ökonomische Kontexte eröffnen. Demgemäß eignet sich nicht jeder Konsumkontext für die Selbstbestimmung im Konsum. Den Grad der Konsumentensouveränität geben die Freiheitsgrade innerhalb der unternehmerischen Produktionsbedingungen vor. Sozioökonomische Produktionsbedingungen mit hohen Freiheitsgraden weisen in unterschiedlichen Gewichtungen meist folgende Strukturen auf:

  • Produktionsstrukturen sind so transparent und flexibel wie möglich.
  • Produkte stehen weniger über die Preisstruktur im Wettbewerb, sondern mehr über die Freiheitsgrade, die sie dem Konsumenten bieten.
  • Produktion sowie Konsumtion der Produkte haben auch bei kreativen Veränderungen sehr niedrige Grenzkosten, d.h. es kostet wenig, noch ein weiteres Produkt mit einer anderen Nuance herzustellen.
  • Auf Urheberrechte und proprietäre Standards wird in der Produktion soweit wie möglich verzichtet. Ideen und Information fließen in die Allmende oder in den Besitz eines Unternehmens ein.
  • Soziale Formationen, wie z.B. Communities, erlangen ein ebenso hohes Prestige wie das eigentliche Produkt.
  • Erreichbarkeit und Veränderbarkeit der jeweiligen Marktinformation ist für jeden möglich.
  • Kollaborativ erstellte Produkte nähern sich dem Prinzip eines „öffentlichen Gutes“ an.
  • Soziale Beziehungen bieten eine vollständige Rollenmobilität bei gleichzeitiger Nähe zu einer Meritokratie, in der sozialer Status nach Leistung und Ranking (Social Tagging) vergeben werden.

Die kooperativen Produktionsprozesse haben die Konsumentensouveränität gestärkt. Infolge räumlich dezentralisierter und zeitlich entzerrter Produktion erarbeiten Konsumenten innovative Produkte, die oftmals nicht über die Preisbildung im Wettbewerb stehen. Denn Information hat keine Rivalität im Konsum, da sie nicht aufgebraucht, sondern beliebig kopiert werden kann. Die niedrige Rivalität auf den Märkten führen Harhoff, Henkel und Hippel (2003) als ein Argument dafür an, dass Konsumenten sich am „Free Revealing“ beteiligen mögen, solange alle Konsumenten an einer kreativen Information partizipieren können und der kreative Urheber nicht schlechter gestellt wird. Ein ebenfalls ökonomisches Argument besteht darin, dass Konsumenten auf einen Netzwerkeffekt hoffen, der den Wert des Produkts aufgrund häufiger Nutzung steigert und verbessert. Beispielsweise verbesserten Konsumenten systematisch im Bereich des Kite-Surfing eine Kombination, die aus einem Surfboard und einem Lenkdrachen als Segel besteht. Die Verbesserung eines Produkts für den eigenen Verbrauch – wie im Kite-Surfing – stärkt zweifelsohne das Gefühl der Selbstbestimmung. Als letztes Argument für Free Revealing führen die drei Autoren an, dass die Reputation eines Konsumenten steigt, wenn er durch positive Leistungen im Bereich kooperativer Wertschöpfungen aufgefallen ist.


Zweifellos sind Produktnutzung, Netzeffekte, niedrige Rivalität sowie Steigerung der Reputation überzeugende Argumente für das Engagement der Konsumenten, doch wird darauf geschaut, warum Konsumenten ihre Selbstbestimmung in der Erstellung von Konsumgütern ausleben mögen, dann ist zu vermuten, dass Konsumenten ihre Konsumbefriedigung nicht mehr allein in dem Konsum des Produkts erleben, sondern ebenfalls die mit einem Produkt verbundene Sozialität eine Befriedigung verschafft.


Scitovsky nennt hinsichtlich der Sozialität mehrere Kriterien, warum Konsumenten bestimmt Produkte oder Dienstleistungen begehren (vgl. Scitovsky 1989: 101). Als erstes Kriterium nennt er das Zugehörigkeitsgefühl, das dem Wunsch entspringt, sich die Mitgliedschaft in dem jeweiligen gesellschaftlichen Kontext durch den Konsum eines Produkts zu erhalten. Er reduziert das Zugehörigkeitsgefühl jedoch nicht darauf, dass Individuen in ihrem symbolischen Konsum ausschließlich ihr Prestige und sozialen Status als befriedigend empfinden. Vielmehr verweist er darauf, dass Individuen einen bestimmten Platz einnehmen möchten, der Anerkennung oder Auszeichnung in einem sozialen Milieu erbringt. Als zweites Kriterium nennt Scitovsky das Gefühl der Nützlichkeit, das Befriedigung verschafft, indem Individuen beispielsweise etwas verschenken, was bei Beschenkten die Reaktion der Freude auslöst. Hier erlangt der Schenkende beispielsweise eine Befriedigung dadurch, dass er anderen nützlich sein kann, wenn er seine eigene Konsumentensouveränität nutzt, um ein kreatives Produkt bei einem T-Shirt-Hersteller auf einem global zugänglichen Konsumgütermarkt anzubieten.


Ein Beispiel für das Gefühl der Nützlichkeit sowie das Zugehörigkeitsgefühl im Free Revealing ist die aktiv schreibende Community von Wikipedia. Dort geben Autoren sowohl über sich selbst als auch über ihre Definitionsarbeit detaillierte Auskunft. Ebenso verweisen Internetnutzer bei www.myspace.com auf mitunter bis zu 1.000 Freunde, so dass die Vermutung nahe liegt, die Dokumentation von sozialen Kontakten würde in vernetzten, interaktiven Medien ein befriedigendes Konsumprodukt sein. Ebenfalls engagieren sich Konsumenten bei LEGO oder Spreadshirt in computerunterstützten Sozialkontexten des Free Revealings, weil sie Sozialität in einer Weise konsumieren möchten, in der sie bisher kaum eine Konsumentensouveränität erreicht haben. Bisher war es für Konsumenten nämlich nicht mit gleicher Leichtigkeit möglich, ein Massenpublikum zu erreichen, eine eigene Kreation auf einem globalen Konsumgütermarkt anzubieten oder für die Arbeit am Wissen der Weltgesellschaft nützlich zu sein. Konsumenten geben hier ihre Arbeit sowie ihre persönlichen Daten kostenlos preis, um sich in vernetzten Sozialkontexten einen Platz zu erarbeiten, den sie selbst vermutlich als Statuserfüllung und im Gefühl der Nützlichkeit genießen können. Die öffentliche Präsentation eines selbstkreierten Konsumprodukts erhält eine Identitätsrelevanz, weil sie der rezeptiven Konsumkompetenz, wie beispielsweise gekonntes Austernessen, eine produktive Selbstdarstellungskompetenz zur Seite stellt (vgl. zur Konsumkompetenz Bolz 2002: 96; zur Identität Döring 2003: 401).


Auf den Märkten für kooperative Produkte gehört deren Materialität selten zu den knappen Konsumgütern, da es beispielsweise bedruckbare T-Shirts, Turnschuhe, Autos oder Legosteine in Großstädten an vielen Ecken gibt. Auf Märkten für kooperative Produkte ist es die Sozialität selbst, die als knappes Konsumgut einen Preis erzielt, die Konsumenten begehren und sich erarbeiten, indem sie kreative Informationen (Ideen) in computerunterstützten Sozialkontexten anbieten. In diesem Begehren nach Sozialität ist eine Motivation zu erkennen, warum Konsumenten sich an kooperativen Wertschöpfungsprozessen beteiligen, ohne selbst in jedem Fall einen Lohn, ein Produkt oder einen geldwerten Vorteil zu erlangen. Aus Perspektive der Unternehmen erarbeiten sich Konsumenten einerseits eine gewisse Konsumentensouveränität und andererseits überlassen sie den Unternehmen eine informationelle Marktransparenz, die umso stärker steigt, je mehr Datensätze verschiedener Unternehmen integriert werden. Diese Transparenz hinsichtlich der Kundenprofile kann zu vergleichbar geringen Kosten nicht von einer unternehmensexternen Markt- und Konsumforschung geleistet werden.


Die Entdeckung des Kunden als kostengünstigstem „Marktforscher“ hat eine kritische Seite, auf die Voß und Rieder in ihrer Publikation Der arbeitende Kunde hinweisen. Denn wenn Konsumenten produktive Leistungen für Unternehmen übernehmen, dann muss gefragt werden, „wem dabei primär der daraus entstehende Nutzen zufällt und wer demgegenüber vor allem Nachteile hat“ (Voß/Rieder 2005: 228). Bezeugt ist es dennoch nicht, dass Konsumenten zu den Verlierern gehören, wenn Unternehmen teilweise Formen ihrer sozialen Bezugnahmen gestalten und wenn sie innerhalb der Unternehmen einen Teil ihrer Konsumentensouveränität genießen. Bisher verstehen sich Konsumenten zwar noch selten als eine wertbildende Arbeitskraft innerhalb eines Unternehmens, doch Voß und Rieder fragen zumindest, ab welchem Zeitpunkt sich Konsumenten darüber bewusst werden, wie die von ihnen erwirtschafteten Werte verteilt werden und wie viel Mitbestimmung sie in der Verteilungsfrage erlangen können (vgl. Voß/Rieder 2005: 146).


Ebenfalls sind bisher noch keine Anzeichen dafür zu erkennen, dass die Markt- und Konsumforschung zu den Verlierern gehört. Die gewaltigen Datenmassen in den Unternehmen verlangen weiterhin nach einem Data Mining. Die kooperativen Produktionsprozesse haben dazu geführt, dass Konsumenten aktiv und oftmals kostenlos an der informationellen Markttransparenz mitarbeiten. Allerdings arbeiten gegenwärtig Informatiker an Identitätsmanagementsystemen, die Konsumenten in die Lage versetzen könnten, Daten gezielt und gegen geldwerte Vorteile freizugeben (vgl. Schelske 2007: 106). Insofern erwächst aus der unternehmerischen Notwendigkeit nach informationeller Markttransparenz weiterhin ein Markt, auf dem Konsumenten im besten Fall als souveräne Anbieter auftreten können. Für ein solches Szenario sind die Rabattaktionen der Unternehmen infolge der Kundenkarten zumindest ein Vorbote. Doch selbst wenn Konsumenten eine größere Macht über ihre Daten erlangen sollten, so kann trotzdem nicht angenommen werden, dass sie sich gegenüber der analytischen Macht der professionellen Marktanalyse durchsetzen könnten. Letztendlich sind Konsumenten infolge ihres Strebens nach befriedigendem Konsum sowohl zu desinteressiert als auch wirtschaftlich zu planlos, mittels aufwendiger Datenanalysen eine annähernde Markttransparenz herzustellen. Hinsichtlich des Interesses an informationeller Markttransparenz bleiben Unternehmen aufgrund ihres fokussierten Gewinnstrebens im Vorteil gegenüber dem konsumierenden Individuum. Vernetzte, interaktive Medien stärken die Konsumentensouveränität, doch die soziale Ungleichheit zwischen Unternehmen und Konsumenten heben sie auf Märkten nicht auf.


8. Informationalisierung der Überallmärkte

Exaktere Konsumentenprofile, personenbezogene und anonymisierte Daten steigern die Transparenz auf Konsumentenmärkten. Kundenkarten, Transaktionsdaten, Tracking Cookies, Adware, Logfile-Analysen, Location Based Services, Verbindungsdaten, Scanningdaten, und Warenkorbanalysen bieten erheblichen Aufschluss über Konsuminteressen und tatsächlich getätigte Einkäufe. Zudem erlauben Strategien des Data Mining eine weit reichende Personalisierung des getätigten Konsums und der flüchtigeren Konsuminteressen. In den angebotsorientierten Produktionsstrukturen fungieren Konsumenten quasi als eine Datenwolke, deren Merkmale auf die zukünftige Konsumpräferenz des Individuums in Raum und Zeit verweist. Kundendaten sowie raum- und verkehrbezogene Informationen werden verfügbar und Bestandteil individualisierter Angebote, die gleichermaßen auf virtuellen und lokalen Märkten präsentiert werden. Die Steuerung des Warenstroms unterstützen Data Mining-, Modellierungs- und Simulationstechnologien, um auf Grundlage einer weit reichenden Markttransparenz anstehende Investitions- und Produktionsentscheidungen zu fällen. Infolge der Datenströme verändern sich Märkte zu einem Überallmarkt, der im Ideal synchron mit der Konsumgüterproduktion verbunden und global sowie computerunterstützt vernetzt ist.


Trotz aller geleisteten Markttransparenz infolge kooperativer Wertschöpfungen verliert die Markt- und Konsumforschung nicht ihre Relevanz. Die kooperative Wertschöpfung konkurriert zwar im Bereich der Produktentwicklung mit der Markt- und Konsumforschung, doch Unternehmen und Konsument werden an anderer Stelle eine kulturelle Orientierung auf Märkten nachfragen. Beispielsweise entwerfen Konsumenten nicht irgendein T-Shirt für ihren Privatgebrauch, sondern sie wollen ein T-Shirt entwerfen, mit dem sie ein Zugehörigkeitsgefühl ausdrücken und gleichzeitig kreative Identität beweisen können. Informationelle Markttransparenz auf Konsumgütermärkten stellt sich insbesondere in kreativen Bereichen nicht über den Preis, sondern über soziokulturelle Lebensstile her. Beispielsweise ist von dem Unternehmen Harley-Davidson folgende Botschaft bekannt geworden: „Wir verkaufen keine Motorräder, sondern eine Lebensphilosophie, und ein Motorrad gibt’s gratis dazu.“ Über solche Lebensstil-„Philosophien“ müssten sich Konsumenten entweder selbst informieren, wenn sie in kooperativer Wertschöpfung ein Produkt erstellen, oder sie informieren sich bei der klassischen Markt- und Konsumforschung. Die Integration des Kunden in konsumorientierte Lebensstile macht weder die Markt- noch die Konsumforschung unnötig, sondern der Kunde selbst sieht sich entweder gezwungen, eine Markt- und Konsumforschung zu nutzen, damit er weiß, welches Produkt eine sozialintegrative Kraft beinhaltet, oder er professionalisiert sich als eigenes Unternehmen, um auf diese Weise soziale Unterstützung für kreative Ideen zu erwirken. Eine Konkurrenz für die Markt- und Konsumforschung besteht allenfalls darin, dass Konsumenten sich in weiten Teilen ihre eigene Forschung organisieren und auf die etablierten Institutionen verzichten.


Tracking, Datenspuren im Internet, Kundenkarten usw. ermöglichen im Zusammenhang mit Strategien des Data Mining zwar eine weitgehend zurechenbare Personalisierung des getätigten Konsums, doch Zahlen über den Abverkauf und Konsumpräferenzen sagen nur wenig über Wünsche, Ängste, Emotionen, strategische Überlegungen, Trends in Lebensstilen und andere evaluierbare Daten aus. Am Marktgeschehen sind das Bewusstsein der Konsumenten sowie die gesellschaftliche Entwicklung beteiligt. Insofern ist das Bewusstsein der Konsumenten sowie die Gesellschaft selbst der blinde Fleck, von dem aus hoch vernetzte Märkte beobachtet werden. Daher wird vermutlich die unternehmensexterne Konsumforschung zukünftig die tieferen Beweggründe erforschen, infolgedessen Konsumenten auf die eine oder andere Weise handeln. Aus den quantitativen Daten der Konsumforschung lassen sich zwar sehr zeitnah Warenströme ablesen, aber was Konsumenten während des Gebrauchs von Produkten individuell erfahren und welche Schlüsse sie für zukünftige Handlungsweisen daraus ziehen, bleibt im Bewusstsein der Konsumenten so lange verborgen, wie sie nicht von der Konsum- und Marktforschung gefragt und analysiert werden. Wie die Gesellschaft sich als Ganzes bzw. in Teilsystemen entwickelt und wie individuelle Konsumpräferenzen in jenem gesellschaftlichen Wandel absehbar werden, ist für Konsumforschung weiterhin eine Herausforderung, sofern es keine wiederkehrenden Muster und Regelmäßigkeiten erkennbar sein.


Wird ein Ausblick gewagt, dann steht zu erwarten, dass jedes einzelne Produkt ein kleines Etikett erhält, das in elektromagnetischen Hochfrequenzfeldern der “Radio Frequency Identification“ (RFID) „kommuniziert“. Sobald die semantischen Netze (Semantic Web) in der Lage sind, die Fülle an individuellen Konsuminteressen gegenüber der globalisierten Produktion mit Hilfe neuer Metasprachen (XML, RDF) automatisch zu koordinieren, werden Wertschöpfungsketten nochmals effektiver gestaltbar. Konsumenten können mittels Mass Customisation, CAD-Files und 3D-Druckern ihre Produkte vor Ort einzeln und nach individualisierten Wünschen herstellen. Zudem entwickelt sich im zukünftigen Konsumgütermarkt das Smart-Phone zu dem Ort, an dem Kommunikation, Information und Medienkonsum zusammenlaufen. Als mobiles Multifunktionsgerät übernimmt es als reichweitenstarkes Gerät die Aufgaben des Telefons, des Fernsehgeräts, der GPS-Navigation, des Computers. Lediglich die Akkukapazität verhindert dann eventuell noch, dass Konsumenten permanent mittels personalisierter Marktdaten während des Einkaufens orientiert und koordiniert werden. Alle diese Entwicklungen befördern die massive Informationalisierung des Konsumgütermarktes. Die informationstechnisch gesteuerte Wertschöpfungskette erhöht das Datenaufkommen drastisch, so dass es für die Markt- und Konsumforschung weiterhin eine Approximationshoffnung bleibt, Markttransparenz auf Märkten herzustellen. Für Konsumenten wird es kaum Möglichkeiten der Marktransparenz geben, außer sie wären bereit, selbst eine Markt-, Preis- und Qualitätsforschung in Auftrag zu geben bzw. dafür die Kosten auf sich zu nehmen.


Wie weit die kommerzielle Markt- und Konsumforschung auf personenbezogene Daten verzichtet, ist zukünftig kaum eine technische Frage, sondern eine ethische Frage der jeweiligen Unternehmens- bzw. Volkswirtschafts-Politik. Abzusehen ist, wie es die kooperative Wertschöpfung in vernetzten, interaktiven Systemen verdeutlichte, dass bisher hunderttausende Konsumenten bereit sind, fast alle Daten bewusst oder unbewusst sowohl einer Öffentlichkeit als auch einem Unternehmen zur freien Verfügung zu stellen. Die soziale Integration in Märkte, Unternehmen und computervermittelte Sozialkontexte scheint gegenwärtig eine deutlich höhere Priorität für Konsumenten zu haben als der Datenschutz und die Wahrung ihrer Persönlichkeitsrechte. Sozialität als Konsumprodukt der kooperativen Wertschöpfung hat einen wachsenden Markt, wie sich z.B. an den Millionen schweren Unternehmen www.openbc.de, www.friendster.com, www.myspace.com oder den vielen Partnersuchdiensten zeigt.


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